9. Lavaredo Ultra Trail
Cortina d'Ampezzo, Dolomiten
119km mit 5850HM
Man ist ja eh nie zufrieden mit seiner Vorbereitung, wenn man dann am Start steht. So krasse Zweifel wie dieses Mal gab's bisher aber noch nie - zu lang auf Schnee unterwegs gewesen, zuwenig laufen, zuviel anderes um die Ohren, und plötzlich steht man Nachts um 22:45 am Kirchplatz von Cortina d'Ampezzo und soll 119km mit über 5800HM schaffen. In einem Stück, in maximal 31 Stunden. Einmal um die 3 Zinnen und noch über ein "paar" Pässe. Papas "teil's dir halt gut ein, wäre schön wenn's schaffst" als letzter Tipp,
Ennio Morricone zum Countdown und es ging in die Nacht.
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Die Strecke (copyright ultratrail.it) |
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Höhenprofil (copyright ultratrail.it) |
3km aus Cortina raus noch auf Asphalt, 1200 Menschen, mindestens nochmal so viele am Straßenrand.
"BRAVO!" "In bocca al lupo!" "Grande!" - tolle Stimmung.
Dann Wald, Forstweg, bergauf, viel los, überholen wo immer es ging und möglichst nicht im ersten Downhill im Stau stecken bleiben. Die Stöcke wollten in der Halterung nicht so wie ich sie wollte, also eigentlich von Anfang an mit den Teilen in der Hand gelaufen.Mal Nachts laufen ist ja ok, bin im Winter ja oft allein (mit Hund) auf Pistentour - 6 Stunden mit der Birne auf der Birne ziehen sich dann aber schon. Km 16, erste Verpflegung, Wasser und Iso nachgefüllt, Äpfel, Schokolade und ein paar Brocken Riegel und weiter.
Langsam aber doch zog sich das Feld auseinander und streckenweise war's wirklich stockfinster - bedeckter Himmel und keine anderen Lampen zu sehen, es gab schon erquickendere Laufmomente. Dafür war die Strecke aber sensationell gut markiert, immer mit Reflektoren, verlaufen mit offenen Augen quasi unmöglich. Die Phase zwischen km18 und 33 ist ziemlich verschwommen, musste mich im Dunklen auf jeden Tritt konzentrieren und der Kegel der Stirnlampe lässt ja auch nicht unbedingt viel Sightseeing zu - irgendwann im Morgengrauen spuckte mich der Wald aber nach dann schon insgesamt 1600HM am Hotel Cristallo in Federavecchia aus, hier auch die 2te Verpflegung. (CutOff um 3 Stunden unterboten, Zwischenplatz 205)
Nächster Anstieg, bis auf über 2000m und direkt wieder runter zum Misurina See auf ca. 1750m, endlich Morgengrauen, bald konnte die Lampe in den Rucksack. Was die folgenden 500hm zum Rifugio Auronzo auch nicht leichter oder wärmer machte. Hier lagen die Dropbags - und es war Zeit für andere Schuhe, frisches Shirt und vor allem einige cm Tape für Zehen und Ballen! (CutOff hier um 4,5h unterboten, Zwischenplatz 211). Fehler bei der Verpflegung: Nudelsuppe mit Parmesan als Frühstück. Scheissidee. 30m gelaufen und die Suppe wollte wieder zurück. Also gehen. Dadurch kalt. Also Jacke. Dadurch zu warm. Also Jacke auf. Laufen probiert, fast gekotzt. Jacke wieder zu, gehen, entnervt sein, ans aufhören denken, schottrigen Anstieg hochlatschen, die Nordwände der Drei Zinnen sehen, gar nicht mehr genervt sein, aufhören wieder vergessen, langsam wieder laufen.
Geht ja eh. Ging ja auch bergab. Und die 60km und damit die Hälfte und sowieso die längste Strecke, die ich je zu Fuß unterwegs war, kamen immer näher. Danach wird's ja leichter werden, wenn man bereits mehr gelaufen ist als man noch laufen muss - oder? Fast.
Davor: 7km Forstweg, Schotter, stinklangweilig, leicht bergauf, ganz spaßig. Taktik: 5 Markierungen weit laufen, 2 gehen und so weiter. So fand dieses Elendsstück auch sein Ende - bei der nächsten Zwischenzeit & VP Cimabanche (66/3100, CutOff 6h unterboten, Zwischenplatzierung 216). Papa wollte hier eigentlich stehen, aber nix - naja, wird vielleicht noch beim Frühstück sein.
Flaschen auffüllen, den langsam schmerzenden linken Oberschenkel dehnen und sinnlos dran rumdrücken, weiter. Forstweg. Mann! (Im Endeffekt ⅓ der Strecke auf Waldautobahnen, nervig, zu viel.)
Strassenquerung und da steht er, der Papa, und freut sich, dass ich noch stehe, laufe, lebe. Kurze Begrüßung, ich wieder in den Wald, er wollte zur Malga Ra Stua Alm wandern und dort warten. Für ihn 3km Wandern am Morgen, für mich 9km mit 600HM. Bergauf alles gut, flach war auch noch OK, aber bergab wurde nun zur Qual - ohne Stöcke wäre ich raus gewesen. Bergablaufen ging einfach nicht mehr rund, links schmerzte der Oberschenkel, also rechts alles abgefedert - was sich in Folge dann irgendwann mit einer verhärteten Wade rächte. Eh nur noch einmal die Marathondistanz - und 2100HM...
Papa war bei seiner Premiere als Betreuer top: wartete mit Cappuccino! Und begleitete mich auf dem folgenden Downhill bis ins Flache - ich weiter ins Val Travenazes, er zurück zum Auto um dann wieder am Rifugio Col Gallina unterhalb des Falzarego auf mich zu warten.
Das Travenazes-Tal - gar schröckliche Beschreibungen geistern hier durchs Netz - Gluthölle, ewiger Anstieg, brutal schwerer, technischer alpiner Trail, grässliche Flussquerungen, die trocken nie zu schaffen sind usw usw. Ja, es warm war und ja, es ging bergauf. Der Trail war aber ein normaler Wanderweg, die Flussquerungen dank vieler Steine trockenen Fußes erledigt (2 nette Damen vom Freiwilligen-Team standen hier im Niemandsland und wuchteten Steinbrocken in die Fluten), vor dem letzten steilen, heißen Anstieg gab's nochmal einen VP mit Getränken - auch dieser Teil war schaffbar. Und verlief endlich mal wieder auf Trails! Rifugio Col Gallina, schnell wieder was reinstopfen, Red Bull mit Wasser mischen, Iso in die andere Flasche und weiter (95/4950, 7:20h unter dem CutOff, Zwischenplatz 199).
Sanft bergab, feiner weicher Boden, Wald und schließlich wieder ins alpinere Gelände. Nie schwer, aber teils schottrig, bergauf war aber eh nur mehr schnelles Wandern drin. Einmal noch bis auf ca. 2400m hoch, dann im auf und ab Richtung Passo Giau - Profi-Betreuer Papa kam mir schon entgegen :) Schmerzen ja, aber erträglich, ich würde es heute ins Ziel schaffen - und zwar bevor es dunkel werden würde! (Passo Giau: 102,5/5550, 8:15h unter dem CutOff, Zwischenplatz 172)
2 kraftraubende Anstiege lagen noch vor mir, bevor es nur noch bergab nach Cortina gehen würde - und der Downhill stresste mich deutlich mehr als diese Bergaufpassagen. Wie erwartet tat es weh, und fast sämtliche Plätze, die ich bergauf gut machen konnte, gingen wieder verloren - wobei ich eh nicht sagen konnte, wer da nun den Ultra und wer den 47km-Cortina-Trail lief, die Strecken treffen sich irgendwann und es wurde recht voll. Den VP am Rif. Croda da Lago ließ ich aus, die Live Band spielte nervigsten Sound, zu Trinken hatte ich noch genug und Hunger auch keinen. Mit ohne Schmerz wäre der Downhill auf den technischen Trails sogar echt spaßig gewesen, in meinem Fall war's halt eher ein bergab-Stochern mit den Stöcken. Und dann Donnerschläge von den Bergen. Und dann Gewitter samt Platzregen. Jacke wieder raus, weiter rutschen. Schließlich eine weitere Forstautobahn, ach kommmmm...
Irgendwo ein Streckenposten im Wald: "4km to go!" Pfui, es reicht jetzt mal. (Wer mag, kann hier gerne einen Schwall ausgewählter Schimpfworte einfügen, die im italienischen Wald verhallten.)
Der Wald wurde lichter, man lief durch ein paar Felder, dann Asphalt, die Kirche war zu sehen, Musik zu hören, Menschen an der Straße feuerten einen nochmal an, über die Brücke, kurz ein letztes Mal bergauf, die letzten 300m im Zentrum von Cortina - ich hab's echt geschafft!
"Tedesco Sebastian 'Uber, Finisher dell' Lavaredo Ultra Trail!"
19:23:39 für 119km mit 5850 Höhenmetern
Platz 159 Gesamt, Platz 141 bei den Männern
1200 LäuferInnen am Start, 747 im Ziel
Post-Race-Gedanken
Würd' ich's nochmal machen? Ja, aber nicht die gleiche Strecke - zuviel Forstweg für zuviel Hype. Landschaftlich natürlich unglaublich, aber streckenmäßig hatte ich mir etwas mehr erwartet. Die wirklich langen Strecken machen Spaß, egal wie sehr man sich davor anschwitzt.
Die "Szene": Verstehe ich im Alltagsverhalten halt nach wie vor nicht. Ich kann doch mal in Zivil rumlaufen, wenn ich ein Eis esse, 36 Stunden bevor es losgeht - man muss doch nicht immer Finisher-Shirt, Trailrucksack und Speedcross spazieren führen. T-Shirts und normale Sneaker gibt's ja auch. Checkt doch sowieso jeder, wieso man an dem langen Wochenende in Cortina rumhängt.
Müll: Die leeren Gelpackungen wiegen übrigens nur ein paar Gramm, also steckt die blöden Dinger wieder in Eure Rucksäcke/Hosen, anstatt sie auf der Strecke zu verteilen.
Angenehmste Begegnung: Die italienische Gang, die 5 Stunden vor Start am Campingplatz bei Rotwein, Käse und Zigaretten saß & sich die Pasta Party gespart hat. "Ah, no. Nicer here. And I don't care about the time anyway."
Organisation & Markierungen & Freiwillige & Verpflegung: 1a.
Selbsteinschätzung: hatte auf Papier meine reine Laufzeit auf 19:15 geschätzt, ohne Pausen. Gar nicht mal so daneben.
Cortina: geht auf den Campingplatz, wenn ihr dorthin wollt. Im Ort ist's teuer. Alles.
Steph & Oli (& usw.): Danke fürs Mitfiebern.
Papa: DANKE!
Sam & die Kinder: Die Besten!